Der Wandel des Qualitätsbegriffs seit 1907



 

Der Wandel des Qualitätsbegriffs seit 1907 – ein Essay

Im allgemeinen Gebrauch der Menschen beschreibt »Qualität« gute Eigenschaften von Erzeugnissen oder Dienstleistungen, oft im Vergleich zu schlechteren. Denken wir an den Stolz der Handwerker:innen auf gelungene, weil lange einsetzbare Produkte oder Bauten. Seit Beginn der Industrialisierung in Zentraleuropa war einer der ersten Qualitätsbegriffe die anhaltende Sicherheit von Dampfmaschinen und Lokomotiven, deren Kessel unter Druck bersten konnten. Dies markiert die Geburtsstunde Technischer Überwachungsvereine (TÜV), die auch heute noch die Qualität drucktragender Geräte und Maschinen überwachen.

Die Encyclopedia Britannica bringt in ihrem Artikel »quality« die den Gegenständen innewohnende Qualität von Objekten ins Spiel. Von außen betrachtet kann ein TÜV-Prüfer oft nur die »objektiven«, wissenschaftlich gut beschreibbaren, primären Qualitäten überprüfen, wie z. B. Gestalt, Menge und Bewegung. Aber auch sekundäre, bisher eher »subjektive« Qualitäten wie Farbe, Geräusche, Geruch und Geschmack lassen sich zunehmend überwachen. Denken wir an die auszeichnenden »Sterne« für Spitzenköche, oder an den typischen Geruch in Neuwagen, den Hersteller gezielt beeinflussen.

Die Industrialisierung brachte zuerst in Europa einen Wettlauf mehrerer Nationen hervor, die für die Käufer besten Waren hervorzubringen. Das zunächst vor allem von britischen Industriellen als abwertende Qualitätsbezeichnung gedachte »Made in Germany« hat sich zum Qualitätsbegriff entwickelt. Hier beginnt die Geschichte des Deutschen Werkbundes 1907, der die Ideen der britischen »Arts und Crafts«-Bewegung zu qualitätsvollen Industrie- und (Kunst-)Handwerkserzeugnissen in Deutschland weiterentwickelt hatte. Nach dem verheerenden Ersten Weltkriegs entstand in Deutschland 1921 der Reichsausschusses für Arbeitszeitermittlung (REFA), zur zeitlichen Optimierung einzelner Arbeitsschritte in der industriellen Fertigung. Zeitgleich schuf Henry Ford in den USA den Fordismus, den der Marxist Antonio Gramsci als stark untergliederte Produktion beschrieb. Nationen gerieten weltweit in Wettbewerbe, wer die Produktionskosten der industriellen Erzeugnisse am meisten senken konnte, indem die Zahl der fehlerhaften Erzeugnisse verringert wird. Dadurch entstanden in Unternehmen Systeme, die heute Qualitätsmanagement heißen.

In den USA trugen seit den 1930ern anhand von Statistiken entwickelte Produktionssysteme im Zweiten Weltkrieg entscheidend zum Sieg bei, zur Bedarfsdeckung einer komplexen, weltumspannenden Logistik. Jedoch konnten die USA und Kanada den Arbeitskräftebedarf bis 1945 oft nur durch ungelernte männliche und zunehmende weibliche Arbeitskräfte decken. Für sie entstanden In den USA Qualitätsmanagement-Handbücher, um Fähigkeiten der Arbeitenden, das Anlernen auf Maschinen und die Produktionsmethoden zu verbessern. Das Deutsche Reich mißbrauchte Zwangsarbeiter und REFA für die militärische Rüstung:

In Deutschland hatte REFA nach 1945 zeitweilig den Ruf einer Management-Methode der Kriegswirtschaft. Nach 1945 gerieten in den USA die Qualitätsmanagement-Methoden von William Edwards Deming und anderen zunehmend in Vergessenheit, da besser qualifizierte, Facharbeiter nach Kriegsende zurück auf ihre Arbeitsplätze strömten. Viele Unternehmer dachten die Erfahrungen der Kriegsproduktion nicht weiter und verharrten mit ihrer reinen Qualitätskontrolle auf dem Niveau der 1930er Jahre. In Japan entwickelten Konzerne wie Toyota in der Wirtschaftswunderzeit der 1960er Demings Ansätze fort, »japanisierten« sie und propagierten sie in den USA und in Europa geschickt als neues Qualitätsmanagement.

In Deutschland entwickelte sich REFA seit den 1960er Jahren zu einem voll ausgebauten Managementsystem zur Optimierung von Qualitäts- und Produktionsstandards. Die Ziele gehen weit über eine Qualitätssicherung hinaus, durch statistische, arbeitspsychologische und ingenieurswissenschaftliche Methoden. Parallel entstand im Vereinigten Königreich im Jahr 2000 die Normenreihe der ISO 900x, z. B. Qualitätsmanagementsysteme nach ISO 9001. Produzierende Unternehmen, Bildungsträger, Dienstleister und öffentliche Verwaltungen sind nach dieser Qualitätsmanagement-Norm zertifiziert. Diese fordert von Geschäftsleitungen, Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten sowie Ziele zu deren Umsetzung festzulegen, um Geschäftsleitungen in Haftungsfragen zu entlasten. Kleinere Unternehmen setzen oft nicht zusätzlich die Umweltmanagement-Norm ISO 14001 um.

Die Herausforderungen im 21. Jahrhundert bestehen darin, gesetzliche Anforderungen z. B. des Produktbezogenen Umweltschutzes in einen erweiterten Qualitätsbegriff zu integrieren. Das Qualitäts-, Arbeits- und Umweltschutz- sowie Energiemanagement lässt sich vielfach kostensparend zu einem erfolgreichen Integrierten Managementsystemen verbinden. Aktuelle Negativbeispiele sind die Skandale der Unternehmen Envio und Woolrec, da deren grob fahrlässiger Umgang mit Produkten nicht zuletzt die eigenen Beschäftigten gefährdete.

Labore können heutzutage die Konzentration krebserregender bzw. erbgutveränderndernde bzw. ähnlich wie Hormone wirkender, sogenannte CMRT-Stoffe durch eine kostengünstiger werdende Analytik herausfinden. Dies betrifft z. B. zunehmend die sekundäre, scheinbar »subjektive« Qualität des Geruchs nach billigem Plastik. Da im Qualitätsmanagement der Unternehmen Daten zur werkstofflichen bzw. chemischen Zusammensetzung von Erzeugnissen erhoben werden, ist die Forderung nach deren Auswertung zur »Entgiftung«

der Produkte nur folgerichtig.  Einer der Ziele dazu ist das Ersetzen mit weniger schädlichen Werkstoffen, z. B. laut der EU-Chemikalienkontrolle REACH (2007). Seit Januar 2021 müssen alle Unternehmen in der EU entlang der Lieferkette komplexe Erzeugnisse in eine EU-weite Datenbank eintragen, wenn diese über 0,1 Massenprozent an CMRT- oder schlecht in der Umwelt abbaubaren Stoffe in einzelnen Untererzeugnissen enthalten. Dies kann kleinere Firmen schnell überfordern, wenn sie diese Herausforderung scheuen.

Unternehmen können strukturiert neue Herausforderungen im 21. Jahrhundert bewältigen. Im verantwortungsbewussten Einsatz chemischer Stoffe in Werkstoffen, Komponenten und Erzeugnissen schwingt der alte Qualitätsbegriff des Deutschen Werkbunds mit. Dessen Funktionär (1918 bis 1933), der spätere Bundespräsident Theodor Heuss definierte 1951 in einer Rede: »Wenn Sie auf die und her gedachte, einmal geschichtlich verhüllte und dann in der unmittelbaren Aussage deutliche Umgrenzung der Frage ›Was ist Qualität?‹ eine Antwort erwarten, so will ich ganz einfach dies sagen: Qualität ist das Anständige.«

Copyright © 2021 by Carsten Dietsche, Egelsbach. All rights reserved.

  • 1988 – 1994 Jobs in Metall- und kunststoffverarbeitender Industrie, in Fischereiforschung
  • 1992 – 1994 Studium des heutigen Japans, der Biologie und des modernen Japanischen
  • 1994 – 1998 Studium des heutigen Japans und des Naturschutzes, Diplom selbst finanziert
  • 1998 – 1999 ein Jahr in einer japanischen Kommunalverwaltung (JET-Programm)
  • 1999 – 2000 und später: über ein Jahr in einer Sonderverwaltung des Bundes
  • 2001 – 2002 Marktforschung, vor allem zu Recycling und zu Umweltmanagement
  • 2002 – 2014 Automobilindustrie, Projektmanagement, Qualitäts- und Umweltmanagement
  • 2004 interner Umweltauditor (IHK), später Umweltmanagement-Beauftragter (VBU)
  • 2007 – 2010 Gremienarbeit, Altfahrzeug-Zerlegung bzw. EU-Chemikalienkontrolle REACH
  • 2012 Qualitätsmanagement-Schulung für interne Auditoren, Institut für Berufliche Bildung
  • 2014 Wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Verbesserung industrieller Ressourceneffizienzen
  • 2015 bis heute: Studium »interdisziplinäre Umweltwissenschaften«, Fernuniversität in Hagen
  • ab 2016 Tätigkeit als Umweltingenieur eines Unternehmens im Maschinen- und Anlagenbau

 


 

The change in the concept of quality since 1907 – an essay

In common usage, »quality« describes good characteristics of products or services, often in comparison to worse ones. Let us think of the pride of craftsmen in successful products or buildings that can be used for a long time. Since the beginning of industrialisation in Central Europe, one of the first concepts of quality was the lasting safety of steam engines and locomotives whose boilers could burst under pressure. This marked the birth of German Technical Inspection Boards (TÜV), which still monitor the quality of pressure-bearing equipment and machinery today.

The Encyclopedia Britannica brings into play the inherent quality of objects in its article »quality«. Seen from the outside, a TÜV inspector can often only check the »objective«, scientifically well-describable, primary qualities, such as shape, quantity, and movement. But secondary, previously more »subjective« qualities such as colour, sounds, smell and taste can also be increasingly monitored. Let's think of the distinguishing »stars« for top chefs, or the typical smell in new cars, which manufacturers influence deliberately.

Industrialisation first brought about a race among several nations in Europe to produce the best goods for buyers. The term »Made in Germany«, which was initially used as a pejorative term for quality by British industrialists, developed into a concept of quality. This is where the history of the Deutscher Werkbund (in German: German Association of Craftsmen) began in 1907, which had developed the ideas of the British »Arts and Crafts« movement into quality industrial and (art) craft products in Germany. After the devastating First World War, the Reichsausschuss für Arbeitszeitermittlung (REFA), in English: German National Committee for Working Time Determination, was founded in Germany in 1921 to optimise the timing of individual work steps in industrial production. At the same time, Henry Ford created Fordism in the USA, which the Marxist Antonio Gramsci described as highly subdivided production. Nations competed worldwide to see who could reduce the production costs of industrial products the most by reducing the number of defective products. This gave rise to systems in companies that are now called quality management.

In the USA, production systems developed since the 1930s based on statistics contributed decisively to victory in the Second World War, to meeting the needs of complex, global logistics. However, until 1945, the USA and Canada were often only able to meet the demand for labour with unskilled male workers and an increasing number of female workers. For them, quality management manuals were created in the USA to improve workers' skills, machine training and production methods. The German Reich misused forced labour and REFA for military armament:

In Germany after 1945, REFA temporarily had a reputation as a management method of the war economy. After 1945, the quality management methods of William Edwards Deming and others were increasingly forgotten in the USA as better qualified, skilled workers streamed back into their jobs after the end of the war. Many entrepreneurs did not think further about the experiences of wartime production and remained with their pure quality control at the level of the 1930s. In Japan, companies like Toyota continued to develop Deming's approaches during the economic miracle of the 1960s, adopting them to Japanese culture and skillfully propagated them in the USA and Europe as a new quality management system.

In Germany, REFA has developed since the 1960s into a fully developed management system for optimising quality and production standards. The goals go far beyond quality assurance, through statistical, work psychology and engineering methods. In parallel, the ISO 900x series of standards was developed in the United Kingdom in 2000, e.g., quality management systems according to ISO 9001. Producing companies, educational institutions, service providers and public administrations are certified according to this quality management standard. This requires management to define tasks, competencies, and responsibilities as well as goals for their implementation to relieve management of liability issues. Smaller companies often do not additionally implement the environmental management standard ISO 14001.

The challenge in the 21st century is to integrate legal requirements, e.g., product-related environmental protection, into an expanded concept of quality. In many cases, quality, occupational health and safety, environmental protection and energy management can be combined in a cost-saving way to form successful integrated management systems. Recent negative examples are the scandals of Envio and Woolrec, whose grossly negligent handling of products endangered not least their own employees.

Nowadays, laboratories can find out the concentration of carcinogenic or mutagenic substances or substances that have a similar effect to hormones, so-called CMRT substances, by means of increasingly cost-effective analysis. This increasingly concerns, for example, the secondary, apparently »subjective« quality of the smell of cheap plastic. Since data on the material and chemical composition of products are collected in the quality management of companies, the demand for their evaluation to »detoxify« the products is only logical. One of the objectives is to replace them with less harmful materials, e.g., according to the EU chemical control REACH (2007). Since January 2021, all companies in the EU along the supply chain must register complex articles in an EU-wide database if they contain more than 0.1 mass percent of CMRT or poorly environmentally degradable substances in individual sub-products. This can quickly overwhelm smaller companies if they shy away from this challenge.

Companies can take a structured approach to new challenges in the 21st century. The responsible use of chemical substances in materials, components and products resonates with the old quality concept of the Deutscher Werkbund. Its functionary (1918 to 1933), the later German Federal President Theodor Heuss, defined it in a speech in 1951: »If you expect an answer to the question ›What is quality?‹, once veiled in history and then clear in its immediate statement, then I will put it in a nutshell in simple words: quality is what is decent.«

Copyright © 2021 by Carsten Dietsche, Egelsbach. All rights reserved.

  • 1988 – 1994 Jobs in metal and plastics processing industries, and in fisheries research
  • 1992 – 1994 Studies of present-day Japan, biology, and modern Japanese
  • 1994 – 1998 studies of modern Japanese and conservation, self-financed
  • 1998 – 1999 one year in a Japanese local government (JET programme)
  • 1999 – 2000 and later: more than one year in a special administration of the German Federal Government
  • 2001 – 2002 Market research, mainly on recycling and environmental management
  • 2002 – 2014 Automotive industry, project management, quality, and environmental management
  • 2004 courses for Internal environmental auditors (Chamber of Commerce and Industry), later environmental management officers (VBU, German branch of European ENEP network)
  • 2007 – 2010 Committee work, end-of-life vehicle dismantling, and EU’s control of chemicals REACH, respectively
  • 2012 Quality management training for internal auditors, Institute for Vocational Training
  • 2014 Research assistant for the improvement of industrial resource efficiencies
  • 2015 to date: Study of »interdisciplinary environmental sciences«, distance learning at  Hagen University (comparable to Open University in the UK)
  • From 2016: Working for a company in the mechanical and plant engineering sector as an environmental engineer
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